Angesteckt.
Ich habe das manchmal, dass mir ein Satz oder ein Gedanke nicht aus dem Kopf gehen will. So ähnlich wie ein Ohrwurm, mit oder ohne Melodie. Gerade eben schwirrt mir eins von diesen neueren Kirchenliedern im Kopf herum, das unser Chor mal gesungen hat: »Einer hat uns angesteckt«. Danach kommt erstmal eine Pause, und sofort fragt man sich: Wer hat wen womit angesteckt?
In diesen Tagen wäre wohl für alle die spontane Antwort klar: Corona. Hat’s uns also erwischt! Fragt sich nur noch, wer der eine ist, der uns angesteckt hat. Wenn ich das in den Nachrichten richtig verfolgt habe, schieben sich gerade China und die trumpschen USA gegenseitig die Schuld am Ausbruch der Epidemie in die Schuhe. Und bei uns fangen sie an, unter Italienfahrern oder in den Après-Ski-Spelunken von Ischgl nach dem Infizierten Nummer eins zu wühlen. Der alte Reflex: Einer hat uns angesteckt – einer muss schuld sein!
Das Lied geht noch weiter: Einer hat uns angesteckt – kurze Pause – mit der Flamme der Liebe. Ja, wie gesagt, es ist halt ein Kirchenlied. Handelt von Jesus. Er hat uns angesteckt mit der Flamme der Liebe. Jetzt gerade hat dieses Bild vielleicht keinen besonders schönen Klang. Aber wie soll man es anders sagen? Mit Jesus ist es offenbar wie mit einer ansteckenden Krankheit: Ich habe mich nicht um sie bemüht, sie ergreift trotzdem Besitz von mir, ich werde sie erstmal nicht wieder los. Oder meinetwegen auch wie mit einem Osterfeuer: Wenn das einmal angezündet ist, gibt es alsbald kein Zurück mehr. (Schade, dieses Jahr wird daraus nix.)
Einer hat uns angesteckt. Mit Jesus infiziert. Angesteckt mit der Flamme der Liebe. Mich selbst ertappe ich immer wieder dabei, dass ich überhaupt nicht wie angesteckt bin. Vor Corona werden sich die allermeisten wohl nicht retten können – wenn’s doch mit Jesus genauso wäre! Wenn doch die Flamme Jesu in mir brennen würde.
Stattdessen warte ich ab, ob ich vielleicht doch ungeschoren davonkomme. Bin auf der Hut, im Dickicht der Corona-Verfügungen bloß keinen allzu großen Fehler zu machen. Vorsichtig bin ich, zuweilen verzagt. Und alles andere als angesteckt. Aber vielleicht müssen die, die von Jesus angesteckt sind, auch nicht pausenlos Geschäftigkeit und gute Laune verbreiten. Solche Leute sind mir sowieso schon seit langem suspekt. Mir genügt es, zufrieden zu sein – das große Glück brauche ich gar nicht. Manche Ansteckung nimmt, Gott sei Dank, einen milden Verlauf.
Angesteckt. Mit der Flamme der Liebe. Und sei es nur eine Kerze im Fenster. Ein Haufen Befürchtungen sind in diesen Wochen unsere Begleiter. Dass Angst und Sorge nicht alles bestimmen, sondern dass Gelassenheit und Vertrauen bei uns einziehen – das wünsche ich uns in diesen Zeiten. Und ein gutes Stück Dankbarkeit für die, die unübersehbar angesteckt sind mit der Flamme der Liebe und jeden Tag Gutes für andere tun.
Karsten Heitkamp ist Pastor in Groß Oesingen und Steinhorst
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