Die Bilder der Gräueltaten im Krieg in der Ukraine sind kaum auszuhalten. Und jeden Tag kommen mehr Grausamkeiten zum Vorschein. Vom ersten Tag an schreibt der Begriff 'Kriegsverbrechen' seine schauerliche Geschichte. Dabei ist allein schon der Begriff ein Widerspruch in sich: Es gibt keinen Krieg ohne Verbrechen. Es gibt keinen 'sauberen' Krieg, der eine 'Operation an sich' rechtfertigt, wie immer diese auch umschrieben werden mag.
Jeder Krieg zwingt dem Schwächeren das Recht des Stärkeren auf. Und deswegen kann es auch keine 'neutralen' Beobachter geben. Das macht die Sache so kompliziert, dass alle Außenstehenden stärker am Gesamtgeschehen beteiligt sind, als ihnen bewusst und lieb ist; dass sie in ihren Abhängigkeiten und ihrem Verhalten so befangen sind, dass sämtliche Beteuerungen über Konsequenzen beim Überschreiten der 'roten Linie' nur noch zum Fremdschämen sind.
Wann ist die rote Linie eigentlich erreicht?
Als Kind bin ich mit den Erzählungen der Alten aufgewachsen: im strengen Winter im russischen Arbeitslager konnten die Menschen wegen des klirrenden Frostes ihre Toten nicht begraben und stapelten die Leichen hinter den Baracken. Die Bilder brannten sich ein in eine Kinderseele, für die 'Krieg' zum Unwort wurde. Und später fiel dies Wort oft genug in Gesprächen mit jenen, die ihre Traumata – als Opfer oder als Mitläufer - bis ins hohe Alter nicht überwunden hatten. Heute ist es wieder da in den Gesprächen mit den ehemaligen Kindern des letzten Weltkrieges, deren längst geheilt geglaubte Wunden plötzlich wieder aufbrechen. Welches unfassbare Leid muss es da unter den Opfern in der Ukraine geben?
Es gibt keine Rechtfertigung für Krieg. Selbst die Schlussfolgerung von Militärstrategen, gegen einen militärischen Konflikt gäbe es nur eine militärische Lösung, lässt bestenfalls ahnen, dass die Eskalationsspirale nach oben offen ist. Wann ist die rote Linie erreicht?
In diesen Tagen ist mir das Friedensgebet wieder wichtig geworden. Es macht mir deutlich, dass wir noch etwas tun können, auch wenn wir meinen, nichts mehr tun zu können. Und so stellt sich nicht zum ersten Mal in dieser Passionszeit die Frage, aber jetzt um so dringlicher: Was trauen wir Gott mit unseren Gebeten (noch) zu?
Helmut Kramer ist Pastor in Ehra-Lessien
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