Vergiss nicht
Vor fast genau einem halben Jahr ist Corona auch bei uns in der Kirche angekommen. Ich erinnere mich, dass wir Anfang März das Abendmahl mit Einzelgefäßen gefeiert haben, was bei uns eigentlich nicht üblich war. Dass ich dann Mitte März kurzfristig meinen Gottesdiensten ferngeblieben bin, weil ich mich erkältet gefühlt habe. Und dass ich dann über Wochen erstmal keine Gelegenheit mehr hatte, meinen Gemeinden persönlich gegenüberzutreten, weil wir uns im Lockdown befanden. Ich erinnere mich auch, dass wir damals meinten: Das dauert jetzt ein paar Wochen, und dann geht das Leben wieder normal weiter. Wie man sich doch irren kann.
Seitdem habe ich mich einigermaßen an die »neue Normalität« gewöhnt. Ab und an muss ich zwar doch noch zusätzliche Wege laufen, weil ich mal wieder meine Maske vergessen habe und sie erst holen muss, um das Geschäft auch betreten zu können. Aber im Großen und Ganzen sind mir die Regeln in Fleisch und Blut übergegangen. Manchmal erschrecke ich, wenn in Spielfilmen die Leute keinen ausreichenden Abstand halten.
Trotzdem finde ich die Corona-Normalität anstrengend. Weil ich bei allem, was mir in den Sinn kommt, immer gleich die Schranke im Kopf habe: Lässt sich das auch mit Corona vereinbaren? Keine Idee, kein Plan, der nicht erst durch diesen Filter müsste. Manches Vorhaben bleibt dabei auf der Strecke. Ich finde es mühsam, nicht einfach ganz unbefangen Dinge machen zu können.
Letztens bin ich einem Corona-Leugner begegnet. Der hat mir weismachen wollen, das sei alles eine große Verschwörung von ganz oben. Es fehlte eigentlich nur noch, dass er über das »Weltjudentum« rumschwadroniert hätte. Ich hatte Mühe, diesen Herrn wieder vom Pfarrgrundstück herunter zu bekommen. Ein unangenehmer Typ mit einem erstaunlichen missionarischen Eifer. Bisher hatte ich sowas nur im Fernsehen gesehen.
Ich hab‘ mir dann gedacht: Bei allem, was ich im einzelnen an unseren Regierungen und Verwaltungen auszusetzen habe, bin ich doch froh, dass sie sind, wie sie sind, und nicht völlig anders. Nicht jede Regelung im Zusammenhang der Epidemie leuchtet mir ein; manches scheint mir eher hilflos zu sein. Zum Beispiel, dass uns die Benutzung unserer Gesangbücher untersagt ist. Aber dennoch finde ich, dass die Verantwortlichen in unserem Land im Grundsatz richtig entschieden haben, die Gefahr durch das Virus ernst zu nehmen und sie nicht einfach wegzuleugnen.
Corona ist anstrengend. Die Vorsichtsmaßnahmen sind anstrengend. Manchmal halte ich mich auch nicht an jedes Detail. Und trotzdem bin ich dankbar, dass umsichtige Menschen es uns ermöglicht haben, dass wir bislang relativ gut durch die Epidemie gekommen sind. Im Spruch für die kommende Woche (Psalm 103,2) finde ich solchen Dank wieder: »Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.«
Karsten Heitkamp ist Pastor in Steinhorst und Groß Oesingen
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