Haben Sie bei sich zu Hause eine Weihnachtstradition? Was gehört bei Ihnen unbedingt zum Weihnachtsfest dazu? Der Kartoffelsalat mit den Würstchen? Der Engel oder der Stern am Weihnachtsbaum, oder die Christbaumspitze, die schon Oma oben auf den Baum gesetzt hat? Ein bestimmtes Weihnachtslied? Oder ein Film, den Sie jedes Jahr schauen? Vielleicht ein Klassiker, wie der kleine Lord, oder die Muppets Weihnachtsgeschichte oder Tatsächlich Liebe?
Traditionen haben etwas: Sie verbinden Menschen miteinander. Sie wecken schöne Erinnerungen in uns. Sie lassen uns träumen. Sie halten Hoffnungen wach.
In den Weihnachtsgottesdiensten haben wir auch eine Tradition. Wir lesen und hören die Weihnachtsgeschichte. Es begab sich aber zu der Zeit … Das klingt ein bisschen wie: es war einmal … Wie ein Weihnachtsmärchen aus alten Tagen. In unzähligen Krippenspielen wird dieses himmlische Weihnachtsmärchen jedes Jahr anschaulich gemacht. Manchmal romantisch verklärt, manchmal zeitgenössisch adaptiert. Hauptsache es gibt Maria und Joseph, die Engel und die Hirten und das Kind- in den ausführlicheren Versionen gerne auch die Weisen aus dem Morgenland, die dem Stern folgen. Für diejenigen, die es etwas abstrakter mögen, liegt kein Kind in der Krippe, sondern steht eine brennende Kerze dort: als Zeichen für das göttliche Licht, das mit dem Kind in der Welt leuchtete. Das Licht schien in die Finsternis.
Das ist alles ein bisschen so, als würde man den kleinen Lord, die Muppets-Weihnachtsgeschichte und Tatsächlich Liebe in einem Film zusammenstricken. Man nimmt die Geschichten von drei verschiedenen Autoren, in diesem Fall heißen sie Matthäus, Lukas und Johannes, und macht daraus eine.
Es begab sich aber zu der Zeit … So beginnt die Geschichte bei Lukas. Lukas gibt sich wirklich Mühe, einen ordentlichen Plot zu konstruieren: Es braucht eine Zeit, eine historische Verankerung, etwas, das die Menschen sich merken können.
Es war die Zeit, als ein Gebot von Kaiser Augustus ausging - außer Lukas weiß übrigens niemand etwas davon. Nicht einmal römische Geschichtsschreiber. Aber das ist auch egal, denn darauf kommt es gar nicht. Lukas ist wichtig, die Geburt zeitlich fest zu verankern. Deshalb braucht er ein historisches Datum. Die Menschen werden wissen wollen: wann ist es geschehen und wo ist es geschehen? Sonst halten sie es womöglich für Fakenews.
Doch, was ist denn eigentlich geschehen? Da war ein Mensch aus Nazareth, der so viel von Gott in sich hatte, dass es an ein Wunder grenzte. Nein, es war mehr. Zwischen ihm und Gott gab es keine Grenze. Dieser Mensch predigte nicht nur den Himmel auf die Erde, er lebte Himmel auf der Erde. Im Kontakt zu ihm spürten die Menschen Nähe Gottes. Da war Kraft, da war Hoffnung, da war auf einmal alles möglich: sogar Frieden, grenzenloser Frieden.
Dieser Mensch war doch auch mal ein Kind. Und dieses Kind muss irgendwo auf die Welt gekommen sein. Hieß es nicht in den alten Schriften: „Du Bethlehem, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll der kommen, der in Israel Herr sei …“ Bethlehem also - ein Provinznest. Irgendwie passte das zu ihm. Er hatte so wenig Weltmännisches. Er war eher der schlichte und bescheidene Typ. Er war so klar, so wahrhaftig und gleichzeitig war alles, was mit ihm zu tun hatte wunderbar, mysteriös- ja ein Mysterium: ein heiliges Geheimnis. Sicher, so muss es gewesen sein: er war in Bethlehem zur Welt gekommen.
Aber wie bekommt man das unter einen Hut: Der Mann aus Nazareth und Bethlehem? Ein Mensch, der so viel Gott war und eine normale Geburt? Und wenn sich nun einfach die Eltern auf den Weg machen - von Nazareth nach Bethlehem. Aber warum sollte sich eine hochschwangere Frau auf den Weg von Nazareth nach Bethlehem machen: google maps sagt: 31 Stunden zu Fuß, wenn man die ganze Zeit geht: 144 Kilometer, also mehr als 4 Kilometer in der Stunde – hochschwanger. Das klingt weder vernünftig noch wahrscheinlich. Aber spielt das bei Gott eine Rolle? Ist Gott vernünftig? Handelt Gott nach Wahrscheinlichkeiten?
Ging es Lukas vielleicht genau darum, zu erzählen: bei Gott ist das Unwahrscheinliche möglich. Du kommst Gott nicht mit Vernunft auf die Spur. Die Vernunft spricht gegen so vieles: die Vernunft sagt: schau doch auf die Augustusse dieser Welt: die Machthaber, die Herrscher, die Kriegsführer: Sie sind es, die die Zeitansage machen wollen. Nach ihnen werden Zeitalter benannt. Die Vernunft sagt: leb dein kleines Leben, gegen die Augustusse dieser Welt kannst du doch nichts ausrichten. Ihnen musst du dich fügen.
Es begab sich aber zu der Zeit, als ein Gebot von Kaiser Augustes ausging … Hier ist er, der Grund für den Weg. Sind es nicht immer die Mächtigen, die meinen, sie könnten die Wege der anderen bestimmen. Die Mächtigen, vor deren Taten Menschen fliehen, die Mächtigen, deren Verantwortungslosigkeiten Flüchtlingsströme auslösen, die Mächtigen, vor denen wir uns fürchten sollen.
Aber wer hätte gedacht, dass einer geboren wird und heranwächst, der sich nicht fürchtet, der sich der Macht in den Weg stellt, der die Macht ad absurdum führt. Einer, der es schafft, statt Spiralen der Gewalt weiterzutreiben, durch die Jahrhunderte und Jahrtausende Menschen in Bewegung zu setzen, die Lichterketten in Dunkelheiten tragen, Wärmestuben für Frierende öffnen, 24 Stunden am Telefon für Menschen in Not da sind, Hilfe für Menschen in Kriegs- und Krisengebieten organisieren. Einer, dessen Geist nicht totzukriegen ist, sondern durch diese Welt zieht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Einer, der eine wirkliche Zeitenwende markierte. Seit er in die Zeit kam, zählen wir unsere Jahre.
Es wäre doch vorstellbar, dass es sich schon bei seiner Geburt abzeichnete – da hat eine andere Macht die Hand im Spiel: eine Macht, die im ganzen Universum zu spüren ist. Eine Macht, die seit Anbeginn aller Zeiten Sterne leuchten lässt. Eine Macht, die selbst Licht ist und dieses Licht in die Finsternis der Welt scheinen lässt, immer noch und immer wieder. Eine Macht, die es schafft, die Wahrnehmung der Menschen zu schärfen, so dass Hirten glauben, sie haben himmlische Heerscharen gesehen und himmlischen Gesang gehört: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welche ist Christus…. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“
Welch eine Tradition, die wir Lukas und Matthäus und Johannes verdanken: Sie haben dafür gesorgt, dass wir die Geschichte immer wieder erzählen und hören: die Geschichte vom Ewigen, der in die Zeit kommt. Die Geschichte, des Christus, der ein Gesicht bekommt, der Mensch wird, damit wir spüren, wie nah Gott uns ist. Die Geschichte von dem Kind in der Krippe, das die Macht hat, diese Welt zu verändern.
Warum sollte es nicht auch diese Macht sein, die das Herz des grimmigen Großvaters vom Kleinen Lord bezwingt, die einen alternden Popstar zu der Erkenntnis führt: Weihnachten verbringt man mit den Menschen, die man liebt und die Tiny Tim am Ende der Muppets Weihnachtgeschichte sagen lässt: Und Gott segne uns alle.
Heike Burkert ist Pastorin für Regiolokale Kirchenentwicklung
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