Das Ende des Kirchenjahres mit seinen trüben Gedanken und mit der Botschaft, dass es da noch eine „Abrechnung“ gibt, scheint uns zurzeit nicht gerade dazu geeignet, uns mit positivem Blick nach vorne hin motivieren zu lassen. Mag sein, dass wir gerade jetzt, coronamüde und auch nicht weiser als vor bald zwei Jahren, wenig empfänglich sind für diesen Ausblick auf den Richterstuhl. Mag sein, dass die aktuelle Lage unsere Angst vor den vielfältigen Unsicherheiten, auf die unser Leben zusteuert, zusätzlich verstärkt.
„Wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen“.
(2. Kor. 5,10; Basisbibel)
Nun denn, mag man fragen: wie wollen wir sie haben, diese Botschaft?
Von Max Frisch stammt der denkwürdige Satz: „Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann - nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen“.
In Anlehnung an dieses Zitat will ich versuchen, mich den Worten aus dem 2. Korintherbrief anhand eines Gedichtes von Lothar Zenetti zu nähern: (aus ‚Sieben Farben hat das Licht: Worte der Zuversicht‘, München 1981)
„Einmal wird uns gewiss die Rechnung präsentiert für den Sonnenschein und das Rauschen der Blätter, die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen, für den Schnee und den Wind, den Vogelflug und das Gras und die Schmetterlinge, für die Luft, die wir geatmet haben, und den Blick auf die Sterne und für die Tage, die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen. Bitte die Rechnung. Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht: Ich habe euch eingeladen, sagt der und lacht, soweit die Erde reicht: Es war mir ein Vergnügen!“
Ob es ihm noch ein Vergnügen bleibt, so, wie wir die Erde geschunden haben? Ob er uns das Recht zugestehen wird, dass wir uns anmaßen, nach der Rechnung zu fragen?
Vielleicht ist es gerade andersherum: nicht wir fragen, sondern wir werden gefragt: „Was hast du getan? Wie hast du gelebt? Was hast du vergeudet?“ Und wir täten gut daran, die Krisen dieser Zeit zu nutzen, um uns zu fragen: Was muss anders werden? Wo müssen wir umdenken? Wo müssen wir neu anfangen?
Helmut Kramer ist Pastor in Ehra-Lessien und Tülau.
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