Mit den Worten Jesu kann es echt ein Kreuz sein. So auch mit diesem: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar“. (Matth. 5,39). Doch wenn man bestimmte Zusammenhänge und Hintergründe jener Zeit berücksichtigt, findet man den richtigen Schlüssel für dessen Verständnis.
Da bekommt also jemand von seinem Gegenüber einen Schlag auf die rechte Wange. Das Gegenüber hätte mit der linken Hand schlagen können, aber die linke Hand gilt nach alter jüdischer Tradition als unrein und der Schlag mit der Linken ist tabu. Also kann er nur mit der Rückhand der rechten Hand schlagen.
Der ‚Herrenschlag‘ erlaubte es wohl, den Diener zu maßregeln, aber er hatte etwas Demütigendes an sich: Wer einem anderen ins Gesicht schlägt, der verletzt nicht nur dessen Gesicht, sondern auch dessen Würde und dessen Ehre. Wenn nun ein derart Gedemütigter seine linke Wange hinhält, dann ist das eine untrügliche Geste. An die linke Wange führt das Gegenüber seine rechte Hand nämlich als Zeichen der Liebkosung.
Wenn Liebende sich streicheln, dann wird die rechte Hand an die linke Wange des oder der Geliebten gelegt. Mit dieser Geste, die linke Wange hinzuhalten, wäre das aggressive Gegenüber entwaffnet. Das bringt ihn durcheinander; da wird er erst im zweiten Anlauf merken, was ihm signalisiert wird: So nicht, Freund. Das ist ein aktiver, entwaffnender Widerstand, der ihm deutlich machen wird: Ich stehe über dem Konflikt, den du mit deinem Schlag provozierst.
Von Martin Luther King wird erzählt, dass er eines Tages in der Stadt unterwegs war. Da kommt ein gutgekleideter Herr auf ihn zu und spricht ihn an: „Sind sie Martin Luther King?“ „Ja, Sir“, antwortet er. Und daraufhin spuckt ihn der gutgekleidete Mann an.
Martin Luther King nimmt sein blütenweißes Taschentuch, wischt sich die Spucke vom Anzug und hält dem Anderen das Taschentuch hin: „Ich glaube, das gehört Ihnen, Sir! Ich gebe es Ihnen zurück.“
Manchmal wünsche ich mir, wir hätten die Weisheit und die Größe, den großen Provokationen unserer Zeit in ähnlich deutlicher Weise begegnen zu können.
Helmut Kramer ist Pastor in den verbundenen Kirchengemeinden Brome-Tülau und Ehra
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