Wenn ich die Bilder flüchtender Menschen sehe, muss ich an meine Omi denken. Auch sie war auf der Flucht, 1945, zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Familie lebte in Ostpreußen. Opa war im Krieg, ich weiß gar nicht, wo. Und Omi mit ihren damals noch drei Kindern mehr oder weniger auf sich gestellt, auch dann, als die Front von Osten herankam und in der alten Heimat kein Bleiben mehr möglich war.
Schon oft habe ich versucht mir vorzustellen, wie das für sie gewesen sein mag; mit was für Gefühlen sie notdürftig Sachen für sich und die Kinder zusammengepackt und die Wohnung verlassen hat; ob sie mit Nachbarn oder Freunden oder Verwandten den Weg Richtung Westen angetreten ist; ob sie sich in einen der langen Trecks eingereiht haben; wie verzweifelt sie vielleicht war, als sie keinen Platz auf der Wilhelm Gustloff ergattern konnten – was für ein Glück im Nachhinein.
Ich weiß nicht, ob sie zu Fuß unterwegs waren oder einen Wagen hatten, wo sie übernachtet haben, ob es Zwischenstationen gab. Ich weiß nicht, welche Ängste meine Omi ausgestanden hat und was sie erdulden musste. Sie hat mir nie wirklich etwas darüber erzählt. Ich weiß eigentlich nur, dass sie irgendwann in Schleswig-Holstein angekommen sind und auf Amrum einquartiert wurden. Und dass sie dort nicht willkommen waren. Auf Amrum ist dann meine Mutter geboren worden. Nicht lange danach ist die Familie weitergezogen nach Süddeutschland.
Omi und Opa haben, glaube ich, zeitlebens davon geträumt, wieder nach Ostpreußen zurückzukehren. Und haben sich doch schon bald in den neuen Verhältnissen und der neuen Heimat eingerichtet. Man kann nicht dauerhaft auf gepackten Koffern sitzen. Geblieben sind viele Bücher über Ostpreußen, die dann später bei uns im Regal gestanden haben.
Jetzt flüchten wieder einmal Menschen, diesmal aus der Ukraine. Was in ihnen vorgeht, kann ich nur erahnen. Wenn alles unsicher wird und ins Wanken gerät, brauchen wir Halt. Viele Menschen berichten von früher, dass sie solchen Halt in Gott gefunden haben. Alles mussten sie verlassen – aber Gott ging mit. An ihm konnten sie sich festhalten und aufrichten, er hat ihnen die Sicherheit und Geborgenheit gegeben, die Krieg, Vertreibung und Flucht ihnen genommen hatten.
Ich hoffe, dass auch den heutigen Flüchtenden Gott eine feste Burg sein kann. Und dass es uns gelingt, ihnen ein Stück Heimat zu geben; ob vorübergehend oder auf Dauer, werden wir sehen.
Karsten Heitkamp ist Pastor in Steinhorst und Groß Oesingen
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