Kurzgedanken zu dem Bild "Der ungläubige Thomas" von Michelangelo Merisi da Caravaggio: Der ungläubige Thomas (1601-1602), Sanssouci (Potsdam)
Sieht das Bild nicht furchtbar aus? Es schmerzt zu sehen, wie der Jünger Thomas seinen Finger tief in die Wunde bohrt. Er war ja nicht dabei, als die anderen Jünger den Auferstandenen gesehen hatten und zur Nachfolge beauftragt wurden. Ob er sich ausgeschlossen fühlte? Nun gibt er sich als Forscher, als Wissenschaftler: Was ich nicht selbst gesehen und erlebt habe, glaube ich nicht! Grob, ja, ohne Rücksicht auf Schmerz gräbt er seinen Finger in die Wunde, als versuche er sich einen Weg hin zu dem zu bahnen, der tief in diesem sterblichen Fleisch verborgen sein soll - der Auferstandene. Sein Zweifel gab ihm seinen Namen und ist sprichwörtlich geworden: Der ungläubige Thomas.
Das Bild Caravaggios zeigt, wovon die biblische Geschichte gar nichts erzählt: Davon, dass es tatsächlich zu dieser Berührung gekommen ist. Was Caravaggio hier so eindringlich in Szene gesetzt hat, findet in der Bibel gar nicht statt. Warum hat er sie dann so gemalt?
Für mich vertritt Thomas die Haltung des modernen Menschen: Auferstehung? Ich kann`s nicht glauben! Das denken viele. Auch früher, weshalb dieser Glaube in der Kirchengeschichte oftmals gefordert, ja, erzwungen wurde: Ein Glaube, der glaubt, ohne zu sehen, sogar ohne sehen zu wollen.
Jesus aber bleibt gelassen und lässt bohrende Fragen zu. Er weiß: Die Jünger glauben, weil sie sehen. Auch Thomas. Das kritisiert Jesus nicht. Er weiß aber auch: Die Nachfolgenden werden glauben, ohne je gesehen zu haben. Deshalb sagt er: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“
Wir werden immer Fragende sein, an der Grenze zwischen Glauben und Zweifel. Der Zweifel selbst ist zu einer Wunde geworden, die sich nicht mehr schließt. Und vielleicht sind seine Wunde, aber auch unsere eigene Wunde der Ort, an dem wir Jesus am intensivsten begegnen. Diesen Jesus, der Wunden kennt und auch die Wunde des Zweifels aushält, hat Caravaggio gemalt: Einen Jesus, der gelassen, geduldig und nachsichtig unseren Zweifeln standhält.
Uta Heine ist Pastorin in der Wolfsburger Nordstadtgemeinde
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