Nicht selten habe ich in den vergangenen Tagen gehört: Das zu Ende gehende Jahr kannst Du vergessen. Es war für die Tonne. Und die Aussichten fürs neue Jahr sind mehr als düster.
Der Silvesterabend verdichtet den Rückblick und den Ausblick und ich kann die Sorgen unserer Zeitgenossen und ihren Frust durchaus verstehen. Aber manchmal wünsche ich mir, wir hätten mehr Offenheit für den Blick zurück und den Blick nach vorne als nur über die Fixierung auf Krisen und die sarkastische Feststellung: Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für die Satire. Oder über die Grundhaltung: Egal was morgen ist, heute wird gefeiert – das können wir uns ja wohl noch leisten.
Ich lade Sie ein, Rückblick und Ausblick einmal unter dem Zeichen der Jahreslosungen zu wagen: 2024 begleitete uns ein Wort aus 1. Kor. 16,14: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“. Ich höre da persönliche Betroffenheit und persönlichen Einsatz heraus. Manchmal ist es gut und wichtig und heilsam, das eigene Verhalten zu überprüfen, wenn ich hoch gesteckte Erwartungen habe oder wenn ich denke, ‚man sollte mal‘.
Nicht nur die anderen sollen. Ich bin auch gefragt. Und im Rückblick wird uns – wenn wir wirklich ehrlich sind – die eine oder andere Situation einfallen, in der wir unseren eigenen Erwartungen und den Erwartungen anderer vielleicht doch nicht entsprochen haben, weil da nicht ausreichend Raum war für Achtung, Anerkennung, Nähe, Liebe. Mit ein wenig Abstand und Ehrlichkeit gewinnen wir dann auch einen anderen Blick auf die Konsequenzen oder auf die Folgen, die sich daraus ergeben haben.
Ähnlich verhilft uns auch die Jahreslosung für 2025 zu einem geschärften Blick: „Prüft alles und behaltet das Gute.“ (1. Thess. 5,21) Es ist von Gott geschenkte Befugnis, in einer kritischen Situation Herr der Lage zu sein, den Überblick zu haben und die Fähigkeit, Gutes und Böses zu trennen.
Es ist Weisheit, in jeder Situation zu erkennen, dass es auch Gutes gibt, an dem man festhalten darf. Diese Gabe ist in uns hineingelegt, ohne dass wir dafür etwas erbringen müssten, außer unserer Offenheit, authentisch in Krisenzeiten zu sein. Die Fähigkeit zu prüfen und zu entscheiden, eine Entscheidung für das Gute zu treffen, diese Fähigkeit ist ein hohes Gut für jeden Tag, der kommt.
Gut also, dass nicht alles, was ich getan oder unterlassen habe, „für die Tonne“ ist und vor Gottes Augen mit dem Fazit behaftet „das kannst du vergessen“. Gut auch, dass ich nicht nur das Böse und das Düstere angucken muss. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen wachen Blick für das neue Jahr und seine Herausforderungen.
Helmut Kramer ist Pastor in den verbundenen Kirchengemeinden Brome-Tülau und Ehra
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