Herz zeigen
Kennen Sie die Geschichte vom „Barmherzigen Samariter“? Wo ein Mann aus dem Land Samarien einen Fremden rettet, der unter die Räuber gefallen ist. Der namenlose Helfer versorgt die Wunden des Verletzten, bringt ihn an einen sicheren Ort und bezahlt sogar noch für seine Pflege. Und er macht das, ohne dass er mit dem Verletzten verwandt, befreundet, bekannt ist oder in irgendeiner anderen Beziehung zu ihm steht. Eher das Gegenteil: Die beiden gehören sogar zwei unterschiedlichen Religionsgemeinschaften an, die sich gegenseitig geringschätzen. Der Samariter hilft also einfach so und ist damit „barmherzig“.
Diese Geschichte ist mir sofort eingefallen, als ich das biblische Motto für das neue Jahr gehört habe: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36) Diese Aufforderung stammt wie die eben erzählte Geschichte von Jesus. Die Aussage ist klar: Ich soll barmherzig gegenüber anderen Menschen sein. Und das heißt nicht nur mitfühlend sein oder Verständnis für die Not anderer zeigen, sondern aktiv etwas tun. Nicht nur Herz haben, sondern Herz zeigen.
Diese sogenannte Jahreslosung für 2021 scheint wie ausgesucht in Zeiten einer globalen Pandemie. Überall brauchen Menschen besonders viel Herz. Der Spruch von Jesus wurde jedoch schon vor vier Jahren ausgewählt. Aber ob Zufall oder göttliche Vorhersehung: mehr Barmherzigkeit ist unser aller Auftrag. Und zugleich unser aller Zuspruch. Denn im zweiten Teil des Satzes heißt es: „wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Dieser Teil kann leicht überlesen werden – ist aber mindestens genauso wichtig wie der erste. Jesus sagt hier: Gott, unser Vater, ist barmherzig uns gegenüber! Und weil Gott uns barmherzig zur Seite steht, können wir auch barmherzig sein – zu anderen und auch zu uns selbst. Wenn Gott ein Herz für mich hat, mich so nimmt wie ich bin – mit all meinen Macken und Fehlern –, warum sollte ich mich nicht selbst durch diesen liebevoll-herzlichen Blick sehen können … und andere Menschen auch? Und dann ist der Schritt vom herzlichen Sehen zum herzlichen Tun ein ganz kleiner.
Christian Berndt
Superintendent