Sexualisierte Gewalt: Landesbischof und Kirchenleitende bekennen Fehler
Kurz vor Beginn der zurzeit tagenden Synode der hannoverschen Landeskirche sorgten zwei offene Briefe für massive mediale Wahrnehmung. Von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche Betroffene forderten den Rücktritt von Ralf Meister als Landesbischof und wiederholten damit eine bereits im März diesen Jahres ausgesprochene Rücktrittsforderung durch eine Betroffene.
Vertuschung und nicht hinreichende Intervention, völliges Versagen bei der Aufarbeitung, deutliche Versäumnisse durch die landeskirchliche Fachstelle Sexualisierte Gewalt, mangelnde Betroffenenbeteiligung in Beratungs- und Entscheidungsprozessen und unprofessioneller, unempathischer Umgang mit Betroffenen lautet die Kritik gegenüber Landesbischof und Kirchenleitenden.
Auch Mitarbeitende der Landeskirche hatten im Vorfeld der Synodentagung einen offenen Brief verfasst, rund 200 Unterzeichner:innen beklagen, dass ihr Vertrauen in die Kirchenleitung beschädigt sei. Sie wünschen sich einen Kulturwandel: „Die Kirche muss sensibel für Grenzverletzungen und Machtmissbrauch werden!“ Insbesondere wollen sie mehr Transparenz und Möglichkeiten zum kritischen Austausch mit Kirchenleitenden, regelmäßige öffentliche Informationen zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt sowie eine Evaluation der Aufarbeitungs- und Präventionsprozesse.
„Meine Geschichte ist kein Einzelfall“
„Wenn nicht mehr so weitergemacht werden kann wie bisher – nur dann ändert sich etwas“, sagte Nancy Janz am heutigen Freitag vor der Landessynode. Die von sexualisierter Gewalt in der hannoverschen Landeskirche Betroffene ist Sprecherin im Beteiligungsforum der EKD. Als Kind und Jugendliche hatte sie jahrelang Missbrauch im Umfeld der eigenen Familie erfahren. „Ich fühlte mich nicht wie ein gutes Geschöpf Gottes. All der Dreck, den sie in mir hinterlassen haben.“ Ein junges Mädchen, das 16jährig allein nach Krelingen kommt. Ohne Familie, ohne Gemeinschaft, ohne Hilfe, ohne Unterstützung. „Ich wollte so nicht mehr leben. Gott blieb stumm. Und dann kam er.“ Sie wollte ankommen, endlich ein Zuhause haben. „Er nahm sich meinen Körper und ich durfte dazugehören.“
Ihre Geschichte sei kein Einzelfall, betont Nancy Janz. Es sei auch anderen geschehen und es geschehe weiter. Demütigung, Angriff auf die persönliche Würde, Entwertung, Bloßstellung, Schweigen erfährt das junge Mädchen, als es Hilfe sucht. „Würden Sie sagen, dass Sie selbst schuld sind, wenn ein Pastor Sie während eines Seelsorgegespräches begrapscht? Dann kann es mit Ihnen keinen Kulturwandel geben!“, macht Nancy Janz deutlich, die aber sehr wohl der Kirche gegenüber offen bleiben will. „Machen Sie die Tür auf, weil wir nach Hause kommen wollen. Suchen Sie uns! Interessieren Sie sich für uns! Kommen Sie miteinander ins Gespräch, hören Sie auf zu schweigen! Sie sind alle verantwortlich, Sie haben alle einen viel größeren Möglichkeitenraum als sie denken!“
Landesbischof gesteht Fehler ein
Kulturwandel beginne mit Mitgefühl und Menschlichkeit, sagte Landesbischof Ralf Meister. „Ich habe den Blick nicht dort gehabt, wo er hätte sein müssen. Sexualisierte Gewalt nicht nur wahrzunehmen, sondern in der Begegnung mit Ihnen nicht wahrzunehmen, war mein Fehler.“ Er werde Wut, Zorn und auch Hass aushalten. „Für mich wird es keine Predigt mehr geben ohne den Bezug auf Menschen, die Unrecht durch unsere Kirche erlitten haben.“ im Bischofsrat werde er gemeinsam mit den Sprengelbischöf:innen über theologische Konsequenzen beraten und sich der Frage stellen, wo Elemente des Glaubens auch als Gewaltrechtfertigung verstanden werden könnten. Die Forderungen nach einem Rücktritt hatte Meister bereits vor Beginn der Synodentagung abgewiesen.
„Kulturwandel muss sich auch in Strukturen niederschlagen“, erklärte der Theologische Vizepräsident des Landeskirchenamtes, Ralph Charbonnier, und sprach von gravierenden Fehlentscheidungen der Kirchenleitenden. Die Kommunikation mit Betroffenen sei nicht hinreichend als Leitungsaufgabe verstanden worden. „Der Landesbischof ist bereit zu Gesprächen mit Betroffenen und lädt sie dazu ein!“
EKD-Beschlüsse sollen umgesetzt werden
Bei allen Beratungs- und Entscheidungsprozessen sollen künftig Betroffene eingebunden werden. „Das haben wir bisher nicht ausreichend umgesetzt, dazu mussten uns Betroffene drängen.“ Man werde die EKD-Beschlüsse, zu denen das Beteiligungsforum jetzt vorbereitend arbeite, in der Landeskirche umsetzen, eine regionale unabhängige Aufarbeitungskommission für Niedersachsen und Bremen habe im April dieses Jahres ihre Arbeit aufgenommen.
Fachstelle Sexualisierte Gewalt wird erweitert
Immer wieder gab und gibt es Kritik an der Arbeit der Fachstelle Sexualisierte Gewalt. „Die Menschen, die dort für uns tätig sind, leisten exzellente Arbeit mit außerordentlichem Engagement. Die Kritik trifft uns, die wir die Fachstelle nicht mit ausreichendem Personal ausgestattet haben!“, stellte Jörn Surborg, Vorsitzender der Landessynode klar. Die Fachstelle, die nicht weisungsgebunden arbeite, werde zurzeit um insgesamt sechs Stellen ausgebaut. Darüberhinaus werde beim Präsidenten des Landeskirchenamtes eine Referent:innenstelle für die Bearbeitung des Themenbereiches Sexualisierte Gewalt eingerichtet.
Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis / F. Josuweit