„Aber Kinder brauchen Kinder! Sie müssen sich mit anderen Meinungen und anderen Kindern auseinandersetzen. Das ist jetzt das Wichtigste!“ Auch soziale Bildung gehöre zur Bildung, sei das Grundlegende überhaupt.“ Die Erziehenden müssen im Moment einfach nur da sein für die Kinder. Hinhören und hinfühlen, was die Kinder jetzt brauchen.“ Der Anspruch frühkindlicher Bildung müsse dahinter erst mal zurückstehen, meint Heidemann-Müller, auch wenn es die Mitarbeitenden unzufrieden mache. „Schau mir zu, rede mit mir, lies mir ein Buch vor. Das brauchen Kinder jetzt!“
Realität steht nicht im Buch
Die Arbeit nicht nur mit kleinen Menschen ist jeden Tag anders, muss immer wieder den aktuellen Bedürfnissen angepasst werden. „Was im Buch steht, steht im Buch. Die Realität sieht oftmals anders aus“, erlebt Stefanie Heidemann-Müller im Laufe ihrer nunmehr fast 25 Berufsjahre. Ihre Vorstellung von Pädagogik sei gerade „so was von im Wandel“, sagt die Pädagogin, die ihre eigene Kindergartenzeit noch zu DDR-Zeiten erlebt hat. „Ich kannte das noch so, dass sich alle gemeinsam an den Tisch setzen zum Essen, nach dem Essen gehen alle auf die Toilette. Ich kannte es sehr strukturiert.“ Als junge Erzieherin, nach der Ausbildung an der Anne Marie-Tausch-Schule in Wolfsburg, habe sie sich schwergetan mit einer offenen, sehr freien Pädagogik. Aber sie lernte schnell: Jedes Kind braucht etwas anderes.
Kinder brauchen auch ein ‚Nein‘
„Wir müssen bedürfnisorientiert am Kind sein. Aber: Kinder brauchen auch mal ein Nein.“ Individualität und Struktur, Autarkie und Gemeinschaft – es braucht einen guten Mittelweg. Keine einfache Aufgabe für die, die mit Kindern arbeiten. „Sie brauchen nur mal in eine Kita kommen und schauen, wie viele besondere Kinder wir dort haben.“ Aufeinander Rücksicht nehmen, miteinander kommunizieren – all das komme zu kurz. Denn Kinder werden heute oftmals nicht mehr dazu angehalten, auch die Bedürfnisse anderer zu respektieren. Ein wichtiges Thema sei auch der Mediengebrauch. „Medienpädagogik muss an vorderer Stelle stehen. Kinder müssen lernen, dass Tablet, Laptop und Handy nicht nur zum Spielen da sind.“ Im Kirchenkreis gibt es bereits eine Fachberaterin für die Wolfsburger evangelischen Einrichtungen, die Stadt Wolfsburg biete ebenfalls Programme an.
Zuversichtlich blickt Stefanie Heidemann-Müller auf den Beginn des neuen Kitajahres nach den Sommerferien. „Ich hoffe, dass unsere Kita-App dann starten kann.“ Die sei mehrsprachig und soll die Kommunikation mit den Eltern vereinfachen, zurzeit schule man die Mitarbeitenden. Auch das, was sich kurzfristig ergebe, könne dann zeitnah mitgeteilt werden. „Bei Betreuungsengpässen können wir dann künftig die Eltern früher informieren, das ist ein großer Vorteil.“ Verkürzte Öffnungszeiten, geschossene Kitagruppen – auch für die evangelischen Kitas in Wolfsburg ist das Alltagsrealität. „Weil das Personal nicht vorhanden ist.“
Mitarbeitende dürfen nicht verheizt werden
Die gesetzlichen Vorgaben durch das Kita-Gesetz von 2021 sehen Betreuungsschlüssel vor, die nicht durchgängig vorgehalten werden können aufgrund des Fachkräftemangels. „Uns ist es aber sehr wichtig, die gesetzlichen Vorgaben einhalten zu können.“ Denn halte man sich nicht daran, könne das nicht nur arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. „Wir würden unsere Mitarbeitenden verheizen und das geht gar nicht!“ In der Arbeit mit Kindern müsse Jede:r 100 Prozent geben. „Wir sollen die Kinder betreuen und bilden und auf die aktuellen Bedürfnisse eingehen – aber dafür müssen auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Sonst können wir das alles nicht unter einen Hut bringen!“
Ein großes Thema sei auch der Kinderschutz. „Wir haben für jede unserer Einrichtungen spezifische Schutzkonzepte fertiggestellt. Das ist wichtig und ein unerlässlicher Schritt.“ Gleichzeitig bringe es aufseiten der Fachkräfte auch Unsicherheit und Angst. ‚Was dürfen wir jetzt überhaupt noch?‘, sei manches Mal die Frage. „Wir als Einrichtungsträger müssen jetzt auch gucken: Wie können wir unsere Mitarbeitenden stärken und ihnen die Sicherheit geben, dass sie gut arbeiten können.“
Teamarbeit ist Schlüssel zum Erfolg
Stefanie Heidemann-Müller legt Wert darauf, gut im Team zu arbeiten, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen an einem Strang zu ziehen. „Unsere Kitas sind die Basis. Wir müssen von dem überzeugt sein, was wir tun!“ Fünf Monate hat die neue Pädagogische Geschäftsführerin noch gemeinsam mit Ihrer Vorgängerin Kerstin Heidbrock zusammengearbeitet, um alles kennenlernen zu können. Seit Anfang diesen Jahres ist sie allein verantwortlich für 13 Kindertagesstätten und drei Familienzentren in Wolfsburg. Noch vor dem Sommer will sie mit allen Kitaleitungen auf der jährlichen Klausurtagung darüber beraten, was evangelische Kitas auszeichnet. „Einen Glauben hat doch jeder“, sagt Heidemann-Müller. „Ich bin schon lange an Spiritualität interessiert, gehe regelmäßig pilgern.“ Kindern Glaubensfragen nahe zu bringen, ist nun auch Teil ihrer beruflichen Tätigkeit.
Kirchenkreisöffentlichkeitsarbeit / Frauke Josuweit