Lektorinnen halten ersten eigenen Gottesdienst
In einem Ort mit übersichtlichen rund 30 Einwohnenden braucht es weder Straßennamen noch sichtbare Hausnummern – zumindest nicht für diejenigen, die sich auskennen. Auch Außenlichter gibt es nur wenige hier, und so stolpert Michaela Herbst im Dunkeln übers Kopfsteinpflaster zu Mareens Krüger Haustür - auf der Suche nach dem Reich Gottes. "Auf der Straße hätten wir uns nie getroffen", sagen beide. Am ersten Novemberwochenende haben sie gemeinsam Gottesdienst in Zasenbeck gehalten.
„Wann kommt es und wie sieht es aus, fragen die Pharisäer“, erklärt Mareen Krüger das Thema ihrer Dialogpredigt. Die Kernfrage kreise darum, ob es bereits angebrochen sei oder noch in ferner Zukunft liege. „Ich kann viel dazu beitragen, ich kann es mitgestalten. Dann ist es tatsächlich mitten unter uns.“ Lektorin Krüger hat beruflich Führungsverantwortung, bedenkt Kolleg:innen zu besonderen Tagen gern mit einer Kleinigkeit. Ob Teammitglied oder Reinigungskraft – das gilt für alle, die mit ihr arbeiten. Eine junge Frau aus Simbabwe, dunkelhäutig und die deutsche Sprache noch erlernend, bedankt sich bei ihr: ‚Du hast Dich nicht weggedreht, Du hast mich angeschaut, Du hast mit mir gesprochen. Du bist die Einzige, die mir ein Gesicht gegeben hat.‘
„Das hat mich wie ein Blitz getroffen.“ Das Reich Gottes entstehe dort, wo Menschen sich für ihr Umfeld einsetzen, andere unterstützen und helfen. „Ein offenes Herz für andere haben – so bin ich groß geworden,“ erzählt sie. Wenn im Sommer die Feriengäste kamen, wurden die Kinderzimmer dafür geräumt, auf dem elterlichen Hof lebten Tiere, die sonst der Schlachter mitgenommen hätte. „Ich kannte das gar nicht anders.“ Glaube und Religion spielte in ihrem Elternhaus eine große Rolle, der Zusammenhalt sei groß gewesen.
"Was willst Du denn damit?"
Michaela Herbst hat das anders erlebt. Als ihre Freunde konfirmiert werden, macht sie nicht mit. „Warum soll ich da zwei Jahre in so einen blöden Unterricht laufen? Und dann machen die das alle nur der Geschenke wegen. Da wäre bei mir eh nix bei rumgekommen – also wieso?“ Es dauert gar nicht lange, dann begibt sie sich doch auf die Suche. „Ich wollte in eine Buchhandlung und mir eine Bibel kaufen. Da sagt meine Mutter: ‚Nee! Was willst Du denn damit?‘“ Was drin steht, wollte sie wissen, und ob sie das versteht. „Das waren meine ersten Schritte.“
Nach einer längeren Pause und dem Umzug nach Knesebeck zieht es Michaela Herbst wieder zur Kirche. „Meine Tochter war noch keine zwei Jahre alt und ich bin mit ihr jeden Sonntag in den Gottesdienst gegangen.“ Hinten, in der letzten Bank, immer in Sorge, ob sie und ihr Kind stören. Es störte nicht, im Gegenteil, sie wird willkommen geheißen, angenommen, obwohl sie im Dorf ganz neu ist. 29 Jahre ist sie bei ihrer Konfirmation. „Ich habe immer weitergesucht, viel gelesen, nicht nur die Bibel selbst, sondern auch Literatur, die sich mit der Bibel beschäftigt.“ Irgendwann wird sie von Christina vom Brocke, Pastorin in Knesebeck, angesprochen auf die Lektor:innenausbildung. „Das hat mich persönlich richtig weitergebracht! Das hat so viel angestoßen in mir.“
„Ich finde es einfach genial, Lektor:innen ausbilden zu dürfen“, begeistert sich Winfried Gringmuth, der den Ausbildungskurs für Lektorinnen und Lektoren mit angestoßen hat. Waren diese bis dahin am Michaeliskloster in Hildesheim zusammengekommen, so haben von Oktober 2021 bis zum Sommer diesen Jahres 13 Männer und Frauen die Ausbildung hier bei uns im Kirchenkreis durchlaufen. „Andere Menschen in die Lage zu versetzen, für ihren Glauben selbst zu sprechen – das passiert in diesem Ausbildungskurs.“ Gemeinsam mit Pastorin Heike Burkert, Kirchenkreis-Beauftragte für Lektor:innen und Prädikant:innen, den Pastoren Frank Morgner, Dr. Heinrich Springhorn und Karsten Heitkamp und dem Kirchenkreiskantor Michael Jandek hat Gringmuth, der vor wenigen Monaten in den Ruhestand ging, den Kurs geleitet.
"Pastoren kochen auch nur mit Wasser"
Und was lernt man oder frau so an sechs Ausbildungswochenenden? „Wir geben ihnen ganz solides Handwerkszeug mit auf den Weg. Sie lernen dabei: Pastoren kochen auch nur Wasser“, so Frank Morgner. Wie liest man Predigten? Wie wirke ich, wenn ich da vorne vor der Gemeinde stehe? Wie ist ein Gottesdienst aufzubauen, welche liturgischen Elemente passen heute überhaupt noch? Unterstützend, ermutigend, Freiräume eröffnend – so beschreiben Mareen Krüger und Michaela Herbst ihre Ausbilder:innen. Sie ermöglichen den Laienprediger:innen damit eine Gemeinschaft, auch über das Ende der Ausbildung hinaus weiterlebt.
13 völlig unterschiedliche Menschen kamen im ersten kirchenkreisweiten Kurs zusammen, einige ganz aus dem Süden kurz vor Königslutter, Mareen und Michaela aus dem Norden. Alter, berufliche und familiäre Hintergründe: „Von bis“, erzählt Mareen Krüger. „Wirklich komplett verschieden. So ein toller Umgang miteinander, so wertschätzend, so liebevoll, aneinander vertrauend.“ Mein Haus, mein Auto, mein sonst was, all das habe Null interessiert. Ganz besondere Menschen seien da zusammengekommen, meinen beide. Genau das schätzt auch Frank Morgner. „Es ist für die Gemeinden eine ganz große Chance, zu hören, welche Erfahrungen im Leben und im Glauben andere mitbringen.“
Weggemeinschaft über Gemeindegrenzen hinweg
Nach und nach werden die 13 Frauen und Männer, die im Oktober vergangenen Jahres mit der Ausbildung begonnen haben, in ihren Gemeinden im Kirchenkreis eingeführt. Mareen Krüger ist bereits eingeführt, Edith Boeke, die in Zasenbeck den musikalischen Part des Gottesdienstes übernommen hat, wird gemeinsam mit Hilma Wolf-Doettinchem und Claudia Hammerschmidt am ersten Advent in Wolfsburg eingeführt, Michaela Herbst im Silvestergottesdienst in Knesebeck. Gelegenheiten, einander zu besuchen, sind die Einführungen, auch Prädikant:innen kommen inzwischen dazu. Es entsteht so eine Weggemeinschaft von Menschen über Gemeindegrenzen, selbst über längere Entfernungen im Kirchenkreis hinweg.
"Einfach weitermachen! Das merkt keiner!"
„Das bereichert das eigene Handeln und das eigene Denken. Sonst latscht man sonntags immer nur in die eigene Gemeinde und latscht, wenn einen niemand da rausholt, auch die nächsten 40 Jahre noch dahin“, sagt Michaela Herbst. Beide Frauen fahren jetzt rum, schauen sich andere Gottesdienste, andere Gemeinden an. Sie erkunden den Kirchenkreis, wollen ihre Ausbilder:innen in Gottesdiensten erleben.
Und wie fühlt sich das so an, da vorn zu stehen und verantwortlich zu sein? Michaela Herbst hat den ersten der zwei vorgeschriebenen Gottesdienste vor der Einführung bereits erfolgreich gemeistert. „Ich saß in der ersten Reihe, dort, wo sonst Christina vom Brocke sitzt und dachte: ‚Fühlt sich an wie zu Hause.‘“ Wirklich aufgeregt sei sie nicht gewesen. Das war im Sommer bei einem der Ausbildungswochenenden noch anders. „Klar habe ich Hänger gehabt. Aber Heinrich Springhorn hat uns gleich zu Anfang der Ausbildung eingebleut: ‚Einfach weitermachen. Das merkt keiner!‘“.
Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis / Frauke Josuweit