An diesem Nachmittag steht ein Kurs in integrierter Schädlingsbekämpfung auf dem Plan. Ton Hoang Thi ist selbstverständlich dabei. Im Gemeindesaal sitzen 32 Männer und Frauen an langen Tischen. Nur wenige von ihnen sind über die Grundschule hinausgekommen. Kursleiter Dat Mai Van geht durch die Reihen und erklärt geduldig, wie man Schädlinge auf natürliche Art und Weise bekämpfen kann.
„Alles greift ineinander“, sagt er. „Ihr müsst den Boden verbessern, Unkraut beseitigen, Kompost ansetzen, Setzlinge ziehen, Würmer mit der Hand beseitigen, biologische Pestizide herstellen und die Schädlinge damit besprühen.“ Wie Krankheiten und Pilzbefall aussehen, zeigt er anschließend auf dem Nachbargrundstück. „Was macht ihr hiermit?“, fragt er unter wolkenverhangenem Himmel und hält ein braungeflecktes Zimtblatt in die Höhe. Ton Hoang Thi räuspert sich und antwortet leise: „Wir besprühen es mit einer Mischung aus Knoblauch, Ingwer und Chili.“ Der Kursleiter nickt anerkennend, die Schülerin atmet erleichtert auf.
Gemeinsam aus der Armut
„Nie hätte ich gedacht, dass ich vor einer so großen Gruppe sprechen könnte“, sagt die junge Frau später in ihrem Gemüsegarten. „In unserer Kultur bleiben die Frauen zu Hau¬se.“ Seit 2018 macht Ton Hoang Thi im Projekt mit, seit einem Jahr engagiert sie sich im zehnköpfigen Kernteam ihres Dorfes. „Ich will etwas bewegen“, sagt die junge Frau. „Das Projekt gibt mir die Möglichkeit dazu, das ist großartig.“
Neben den Schulungen stehen selbst initiierte Gemeinschaftsaktivitäten im Mittelpunkt des Projektes. So haben die Dorfbewohnerinnen und -bewohner Ende 2020 zusammen das Versammlungshaus errichtet. Und im Frühjahr 2023 betonierten sie eine schmale Straße, die direkt vor Ton Hoang This Haustür verläuft. „Die Straße ist eine enorme Erleichterung. Früher mussten wir oft um drei Uhr morgens zur Feldarbeit aufbrechen oder sogar auf unseren Feldern übernachten“, erzählt die Kleinbäuerin.
Die Reisterrassen der Bauernfamilien liegen oberhalb des Dorfes. Zu Fuß dauert ein Weg mehrere Stunden, mit Motorroller oder Moped sind es dagegen nur wenige Minuten. Heute ist Ton Hoang Thi wie immer um fünf Uhr aufgestanden, hat Frühstück gemacht, ihren elfjährigen Sohn Bao die vier Kilometer zur Schule gefahren, einer Nachbarin beim Dreschen geholfen, Mittag¬essen gekocht, Bao abgeholt, den Zimtbaum gefällt und trotzdem am Seminar teilgenommen.
Am besten findet die stolze Mutter aber, dass ihr Sohn durch die befestigte Straße keinen Tag Schule mehr verpasst. „Früher musste Bao bei Regen tagelang zu Hause bleiben, weil die Wege total verschlammten und unpassierbar waren. Der Siebtklässler ist ihr einziges Kind. „Kinder kosten Geld. Bao soll Abitur machen und einen richtigen Beruf erlernen oder studieren.“
Für das Abendessen pflückt Ton Hoang Thi ein paar Chilischoten und Kräuter. In ihrem Garten baut sie diverse Obst- und Gemüsesorten an, unter anderem Süßkartoffeln, Bananen, Avocados und Guaven. Ihre Reisterrassen decken den Eigenbedarf. Den Ertrag steigert sie inzwischen durch Biodünger und nachhaltige Anbaumethoden. Und seit Kurzem zieht sie Zimtsetzlinge und züchtet Bambussprossen, die sie in sechs Monaten wie Spargel stechen kann.
Vor ein paar Jahren versuchte sie sich mit ihrem Mann als Straßenbauarbeiterin in der Hafenstadt Haiphong. Bao blieb bei ihren Eltern. „Das war furchtbar“, erinnert sich Ton Hoang Thi. „Viel zu laut, zu dreckig und zu voll.“ 320.000 Vietnamesische Dong verdiente sie am Tag, keine 13 Euro. „Wir hatten Heimweh und vermissten Bao, die frische Luft und die Stille unseres Dorfes.“ Deshalb kamen die Eheleute zurück. Zwar ist ihr Haus noch lange nicht fertig, Fenster und Innenwände fehlen noch. Aber immerhin hat die Familie ein festes Wellblechdach über dem Kopf, die Holzwände stehen auf solidem Fundament, es gibt eine Toilette mit fließend Wasser, eine Dusche und eine Küche mit offenem Feuer, elektrischem Reiskocher, Kühlschrank und zwei Gasplatten.
Wenn die Behörden den ökologischen Bambussprossen das Gütesiegel für gesunde Nahrungsmittel aus der Region erteilen, will Ton Hoang Thi zusammen mit den anderen Frauen aus dem Dorf die erste Genossenschaft gründen. „Danach kommt der Zimt“, plant sie. Er soll ihrem Sohn die Zukunft sichern. Und auch dem ganzen Dorf.
Text: Constanze Bandowski (BfdW), Fotos: Jörg Böthling (BfdW)