Studie zu Missbrauch sucht Interviewpartner

Nachricht 05. November 2021

In den Jahren von 1972 bis 1986 hat es in der Wolfsburger Stephanusgemeinde Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben. Das soll jetzt in einer externen, unabhängigen Studie wissenschaftlich erforscht werden. Mit der Veröffentlichung der Fallstudie rechnet die hannoversche Landeskirche zum Jahresende 2023. Kirche, gleich auf welcher Ebene, kann keinerlei Einfluss auf Inhalt und Veröffentlichung nehmen. Die Fälle wurden bekannt, nachdem im Juni 2020 eine Betroffene aus dem Kirchenkreis Hittfeld ihre Geschichte öffentlich bekannt machte. Dort arbeitete der Täter nach seiner Dienstzeit in Wolfsburg.

„Sexualisierte Gewalt ist eine gesellschaftliche Realität. Sexualisierte Gewalt ist auch eine Realität in unserer evangelischen Kirche“, sagt Karoline Läger-Reinbold. Die promovierte Theologin ist Leiterin der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Etwa jede*r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland habe sexuelle Gewalt in Kindheit oder Jugend erlitten, Frauen seien deutlich häufiger betroffen. „Die Stimmen der Betroffenen haben wir lange nicht gehört. Wir haben Vertrauen verspielt. Hier trägt unsere Kirche eine große Schuld.“

Kirche brauche eine gründliche Erforschung und Aufarbeitung aller Fälle von sexualisierter Gewalt. „Forschung muss extern und unabhängig von Kirche sein. Und die Aufarbeitung muss den Betroffenen eine Stimme geben!“, begrüßt Läger-Reinbold die wissenschaftliche Erforschung durch den Verband ForuM. Aufarbeitung bedeute: „Wir müssen das Bild korrigieren. Von uns als Kirche und von den Menschen, die unter dem Deckmantel kirchlicher Arbeit zu Tätern geworden sind. Was damals falsch gemacht wurde, darf sich nicht wiederholen.“

Pastorin Charlotte Kalthoff ist seit 2016 in der Stephanusgemeinde tätig, seit November 2019 nach dem Tod von Pastorin Anke Döding als alleinige Pastorin der Gemeinde. „Wir werden die Forschenden mit allem vorbehaltlos unterstützen, was sie von uns brauchen“, betont sie. „Wir erhoffen uns zum Jahresende 2023 Unterstützung für unsere Aufarbeitung vor Ort.“

Intern sei die Gemeinde damit intensiv befasst. „Den Weg der Aufarbeitung gehen wir tastend. Es ist ein Prozess, für den es keine Blaupause gibt. Das beschäftigt uns sehr und fordert uns emotional.“ Vorkommnisse sexueller Gewalt müssten in die Gemeindegeschichte eingefügt werden, das solle und dürfe keinesfalls verschwiegen werden. „Wir noch immer entsetzt über das, was bei uns vorgefallen ist. Die Scham vor den Betroffenen ist groß.“

„Die Chance einer wissenschaftlichen, unabhängigen Erforschung ist ein großer Schritt nach vorn für uns hier in Wolfsburg. Das begrüße ich außerordentlich“, sagt Christian Berndt. Der Theologe ist seit September 2018 Superintendent des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Wolfsburg-Wittingen. Forschung könne Aufarbeitung keinesfalls ersetzen, dieser aber dienen. Sie könne auch präventive Maßnahmen unterstützen. „Sich dem zu stellen, was in der Stephanusgemeinde von 1972 bis 1986 geschehen ist, ist schwer und wird schwer bleiben.“

Im Jahr 2006 habe sich die Gesetzeslage für die, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, zugunsten des Kindeswohles verändert. Diese Veränderung habe Kirche sehr begrüßt, sie würde seither in der Schulung und Ausbildung von hauptberuflich und ehrenamtlich Tätigen konsequent umgesetzt. „Dennoch können und müssen wir mehr tun! Wir arbeiten derzeit an einem kirchenkreisweiten Schutzkonzept, das wir hoffentlich im kommenden Jahr fertigstellen können.“ Missbrauch dürfe sich in der Kirche nicht wiederholen. „Dafür setze ich mich ein. Als Superintendent und als Mensch Christian Berndt.“

Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis

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Forschung kann nur gelingen, wenn sich von sexualisierter Gewalt Betroffene, Gemeinde- und Kirchenmitglieder sowie Zeitzeuginnen und -zeugen aus dem weiteren Umfeld sich beteiligen. Deshalb bitten die Kirchenvertreter:innen ausdrücklich darum: Stellen Sie sich als Interviewpartner:in zur Verfügung!

Betroffene von sexualisierter Gewalt, Gemeindemitglieder und weitere Zeitzeugen und -zeuginnen können sich an die beiden namentlich genannten Forscherinnen wenden – direkt und ohne Kenntnisgabe an die evangelische Kirche.

Dr. Johanna Sigl
Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Beim Schlump 83
20144 Hamburg
sigl@zeitgeschichte-hamburg.de
Tel +49 40 4313 9724

Johanna Forth M.A.
Bergische Universität Wuppertal
Gaußstraße 20
42119 Wuppertal
forth@uni-wuppertal.de
Tel. +49 202 439 5348

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